Küstrin im 19. Jahrhundert

Nach Jahren des kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwungs wurde Küstrin wieder von schweren Schicksalschlägen getroffen. Offenbar waren die Erinnerungen an die Einäscherung der Stadt noch sehr lebendig, als 1806 der Festungskommandant kampflos die Festung französischen Einheiten überließ. Im Zuge der Blockade der Festung 1814 und kleineren Scharmützeln wurden die beiden Vorstädte von den französischen Besatzungstruppen niedergebrannt. Die Bevölkerungszahl verringert sich von 5000 auf rund 1000 Einwohner.
Nach der Blockade verlor die Stadt endgültig die Funktion als Hauptstadt der Neumark. Alle Versuche, Verwaltung und Gerichtssitz wieder in die Stadt zu holen, scheiterten. Erst gegen 1830 erreichten Bevölkrungszahlen und Wirtschaftskraft den Stand vom Ende des 18.Jahrhunderts.

Stadtansicht um 1850

Auf dem Gelände der ehemaligen langen Vorstadt wurden die Flügellünetten erbaut und ein Festungsbezirk (Rayon) eingerichtet, der unbebaut bleiben sollte, um ein freies Schußfeld zu garantieren. So wurde eine Zerstörung der Vorstädte im Kriegsfall unnötig. Die Bewohner der abgebrannten Vorstädte wurden enteignet und bekamen neue Grundstücke außerhalb der abgesteckten Rayongrenzen. Die lange Vorstadt wurde nun rund 1km westlich neu aufgebaut - das heutige Küstrin-Kietz. 1819 wurden über Küstrin die Chaussee von Berlin nach Landsberg angelegt und später nach Königsberg verlängert - die spätere Reichsstraße und heutige Bundesstraße 1. 1845 wurde eine Eisenbahnlinie geplant, die 1857 verwirklicht wurde. Obwohl viele dieser Maßnahmen aus militärstrategischen Gründen durchgeführt wurden, förderten diese die Wirtschaft der Stadt enorm. Küstrin wurde zum Verkehrsknotenpunkt und hob auch den Wert der Festung. 1880 wird die Pfarrkirche, die nach schweren Verwüstungen durch die Franzosen nur unzulänglich wiederhergestellt wurde, grundlegend saniert. Dabei wird die alte Fürstengruft von Markgraf Hans wieder gefunden. Die beschädigten Särge werden umfassend restauriert. Vor der Bastion Phillip wird 1891 ein Wasserwerk errichtet, daß nach den neuesten Erkenntnissen Trinkwasser für die Altstadt aufbereitet. Die Reste der Anlagen sind heute noch erkennbar. Zwischen 1893-95 erhält die Festungsstadt Anschluß an die Kanalisation. Die Straßenbeleuchtung, die ab 1883 durch die städtische Gasanstalt sicher gestellt wurde, wird 1913 elektrifiziert. Am Renneplatz an der Berliner Straße entstand 1886 das Postamt. Durch die Niederlegung der Brückenkopfschanze gegen 1870 wurde das freigewordene Areal für neue Industriebetriebe genutzt. Es entstand u.a. die Malzfabrik.
Die neu errichtete kurze Vorstadt nahm eine Vielzahl von Bewohner der Festungsstadt auf führte jedoch in den folgenden Jahrzehnten ein eher kümmerlichen Dasein und tat sich schwer mit der städtischen Entwicklung, die von der Verwaltung der Festungsstadt, nun Altstadt mit Argwohn betrachtet wurde. Während die Altstadt mit Kräften bemüht war, ihre bedeutende Stellung zu halten, forderte die kurze Vorstadt, nun Neustadt genannt, eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen. Erst nach 1871 bekann die Entwicklung der Neustadt als industrielles Zentrum und wurde bis zum Ende des 19.Jh der bevölkerungsreichste Stadtteil. Waren es 1819 keine 1000 Einwohner, so wurde 80 Jahre später mehr als 10.000 Einwohner gezählt. Die Zorndorfer Chaussee entwickelte sich mit einer Vielzahl an Geschäften zum neuen Stadtzentrum. Auf dem Gelände der Maulbeerplantagen des 18.Jh. entstanden die Zellulosefabrik und die Norddeutsche Kartoffelmehlfabrik, die bald Weltruf erlangen sollte.